Buchbesprechung aus anima – Zeitschrift für Tierrechte (A-8017 Graz, Postfach 1), Nr.2/2007

Philosophie:
Susann Witt-Stahl (Hrsg.)
Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen – Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere
Alibri Verlag Aschaffenburg 2007, 380 Seiten, kart., Format 20,5 x 13,5 cm,  22  EUR(D), ISBN 978-3-86569-014-2

„Die Aufsätze der Autoren zielen darauf ab, die Befreiung der Tiere als gesellschaftlich emanzipatorisches Konzept zu diskutieren und kritisch theoretisch zu fundieren, Basis ist die Überzeugung, dass Tiere als geknechtete und ausgebeutete Wesen (an)erkannt werden müssen. Da die Unterdrückung der Tiere als gesellschaftlich vermittelt begriffen wird, gilt sie auch als historisch überwindbar...“ So im Klappentext.

Das Buch enthält die überarbeiteten Vorträge in einer von der Tierrechts-Aktion-Nord (TAN), die als am linken Flügel der Tierrechtsbewegung angesiedelt gilt, veranstalteten „Tagung für eine kritische Theorie zur Befreiung der Tiere“ im Februar 2006 in Hamburg. Es wird also vor allem fachlich Bewanderte ansprechen, die im großen Haus der Philosophie an der von der Frankfurter Schule (Horkheimer, Adorno) entwickelten Kritischen Theorie interessiert sind. Ein Teil der Beiträge wendet sich der Sprachwahl nach an Fachleute, nicht wenige sind aber auch auf ein breiteres Publikum zugeschnitten. Uns fehlt Zeit, Platz und philosophische Fachkenntnis zur eingehenden Erörterung, darum nur ein paar Streiflichter.
Einer der Beiträge, eher polemisch gehalten, befaßt sich mit der „Unterwanderung der Tierrechtsbewegung durch Kirchen und rechte Kultgemeinschaften“ und gipfelt in der Forderung: kein Schulterschluß mit Personen, Gruppen oder Institutionen, deren Tierschutz- oder Tierrechtsengagement einer tatsächlich tier-, menschen- und lebensfeindlichen Ideologie vorgestellt ist. Ein Rundumschlag gegen Religiöses und Esoterisches, gegen Hinduismus, Buddhismus und sogar gegen Barbara Rütting,  der allerdings den Beweis mangelnder Tier- und Menschenliebe schuldig bleibt. Es mag durchaus richtig sein, daß die praktische Tierbehandlung in buddhistisch/hindustisch geprägten Ländern vielfach miserabel ist, doch das spricht genauso wenig gegen die religiösen Lehren an sich wie die wenigen Vegetarier unter den Anhängern der Frankfurter Schule gegen diese.
Neun Seiten lang kämpft der Autor gegen die religiösen Gemeinschaft ‚Universelles Leben’, der nach seiner Darstellung nur einer von zwei- oder sogar zehntausend Deutschen anhängt. Welch Aufwand an Polemik gegen eine winzige Gruppe, die vielleicht für die Tiere mehr geleistet hat als viele andere.
Die Herausgeberin des Bandes Susann Witt-Stahl handelt unter dem Titel „Das Tier als ‚der ewige Jude’ vor allem über den seit Jahrzehnten gängigen und ebenso intensiv bekämpften KZ-Vergleich, ein Thema, das schon so breitgewalzt ist, daß man sich allmählich fragt, wozu die Mühe für einen hauptsächlich werbetechnischen Griff oder Mißgriff. Bei all dem wird zu leicht vergessen, daß es letztlich um Leidminderung und nicht um Vergleichsrichtigkeit geht. Ob Quantanamo jetzt ein KZ ist, grausam ist es so und so. Die Autorin geht allerdings über das Vergleichsthema hinaus. Auch wendet sie sich nicht nur gegen dessen Verfechter sondern auch deren Gegner, soweit diese – grob gesagt - daraus Ansprüche gegen die Tiere ableiten.
Da das Thema aber nun einmal wieder zur Sprache gebracht ist: Die Ansichten in der anima- Redaktion waren und sind geteilt. Langjährige Leser werden sich noch an unser Redaktionsmitglied Prof. Hertha Heger erinnern, deren mütterliche Familie dem Holocaust zum Opfer gefallen war, und die gegenüber  Grazer Zeitungen kämpferisch entschieden für den Vergleich ins Feld zog. Ich halte abseits jeglicher Philosophie aus pragmatischen Gründen dagegen. Wenn meine Erbtante keine rote Weste mag, werde ich sie nicht rot bewestet besuchen. Wenn der KZ-Vergleich Menschen, die ich für die Tiere gewinnen will, wehtut, werde ich ihn bleiben lassen.
Basis der theoriegeprägten Ablehnung ist die bekanntlich umstrittene doch weitgehend dogmatisierte Annahme der Einmaligkeit des Holocaust. Die Weltgeschichte bietet von den Büchern Moses und Josua bis in die allerjüngste Vergangenheit ein breites Repertoire an Völkermorden.
Weshalb unter all diesen gerade der dritte der Völkermorde, welche das seinerzeitige Deutsche Reich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allein oder mitbelasten, ein singuläres Ereignis ist, sollte in einer längeren Abhandlung doch über die üblichen Phrasen hinaus erläutert werden.
Gerade dazu sagt die Autorin, die sonst zum Thema dreißig Seiten lang kluge Worte findet, wenig aus. Ihr Argument „Erstmals wurden Menschen durch Menschenhand zu administrativ verwalteten Exemplaren gemacht – wie normalerweise nur mit Tieren verfahren wird.“ spricht  doch eher für den Vergleich. Wenn Menschen im KZ wie Tiere behandelt werden, ist der Umkehrschluß, daß Tiere wie Menschen im KZ behandelt werden, nicht ferne. Was immer auch der Pleonasmus administrativ verwaltet heißen soll, jeder moderne Staat ist bürokratisch und wir Menschen sind da drinnen verwaltete Exemplare.
Jeremy Bentham ist bekanntlich mit seinem vielzitierten Ausspruch „Die Frage ist...: Können sie leiden?“ Denkmal der Tierrechtsbewegung. G. Rogausch stößt ihn im Referat „Tierliebe, Tierschutz und Noblesse Oblige als Manifestation des Speziesismus“, indem er das Zitat in seinen größeren Zusammenhang stellt, vom Sockel.
Alles in allem bietet das Buch Interessierten viele Anregungen. 

Erwin Lauppert

 

 

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