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 Peter Singer: Henry Spira und die Tierrechtsbewegung 
 
  Von Susann Witt-Stahl  
  Henry Spira gilt zu Recht als Pionier der in den 70er Jahren 
  entstandenen Tierrechtsbewegung. Mit seiner Organisation Animal Rights International 
  rettete der Aktivist Millionen von Tierleben und half, Abermillionen erträglicher 
  zu machen. Ihm gelang es erstmals, Tierversuchspraktiken wie den Draize- oder 
  LD-50-Test aus dem abgeschirmten Dunkel der Kosmetikindustrielabors an das grelle 
  Tageslicht der US-amerikanischen Öffentlichkeit zu holen und den naiven 
  Fortschrittsglauben vieler "guter" Amerikaner durch effektvolle Bilder 
  und Slogans zumindest kurzzeitig zu erschüttern. Spira zwang die Industrie, 
  an Alternativen zum Tierversuch forschen; sie musste wesentlich tiefer in die 
  Portokasse greifen als je zuvor. 
   
  1927 geboren, wuchs der Sohn eines polnischen Diamantenhändlers in Antwerpen 
  auf, lebte in London später in Hamburg, bis die Familie erfahren musste, 
  dass "das nationalsozialistische Deutschland für Juden kein besonders 
  angenehmer Aufenthaltsort" war. Kurz nach der Reichspogromnacht traten 
  die Spiras die lang geplante Ausreise in die so genannte Neue Welt an. Henry 
  politisierte sich früh: Als 16-Jähriger engagierte er sich in der 
  sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung Haschomer Hazair. Im letzten Kriegsjahr 
  heuerte der abenteuerlustige Youngster bei der Handelsmarine an, wurde Mitglied 
  in der Seefahrergewerkschaft und Sozialistischen Arbeiterpartei. In den straff 
  organisierten Partei- und Gewerkschaftskadern lernte er die hohe Kunst des Agitprop. 
  Spiras politisches Engagement blieb nicht folgenlos: "Bekämpfe das 
  System, und du bekommst die Quittung", kommentiere Spira seinen Rausschmiss 
  aus der Handelsmarine. Zwei Jahre später feuerte ihn die US-Army wegen 
  "subversiver und illoyaler Betätigung" für linke Organisationen. 
  Aber Joseph McCarthys Kreuzzüge gegen linke Dissidenten konnten den kampferprobten 
  Polit-Aktivisten nicht abschrecken. Spira solidarisierte sich mit der Bürgerrechtsbewegung 
  und berichtete noch jahrelang über ihre Proteste in der sozialistischen 
  Wochenzeitung The Militant.  
  Henry Spira starb 1998 nach einem langen Krebsleiden. Er war kein kopflastiger 
  Theoretiker, sondern ein hervorragender Stratege und versierter Agitator. Sein 
  Engagement für die Tiere begann 1973 mit der Freundschaft zu einer Katze 
  und der Lektüre eines wenig schmeichelhaften Artikels in The Guardian über 
  Peter Singers Werk "Befreiung der Tiere", das schon bald als "Bibel 
  der Tierrechtsbewegung" gehandelt werden sollte. Seinen Biografen lernte 
  Henry ein Jahr später kennen. Singer leitete einen Abendkurs am philosophischen 
  Institut der New York University zum Thema Tierethik. Tief beeindruckt von Singers 
  Speziesismus-Kritik bekannte sich Henry schon kurze Zeit später zum Vegetarismus 
  und startete seine erste Kampagne gegen die Vivisektion. 
  Mit dem Amerikanischen Naturgeschichtlichem Museum, das absurde, sogar in Wissenschaftlerkreisen 
  umstrittene, Versuchsreihen über das Sexualverhalten verstümmelter 
  Katzen durchführte, suchte er sich bewusst einen leicht angreifbaren Gegner 
  aus: "Die Bewegung für die Tiere hatte keinerlei Siege aufzuweisen. 
  Sie brauchte ganz dringend einen Erfolg, der zum Sprungbrett für noch größere 
  Kämpfe und bedeutendere Siege werden konnte", berichtet sein Weggefährte 
  Peter Singer. Mit einem ausgeklügelten Kampagnen-Konzept - einer umfangreichen 
  Recherche über den fokussierten Gegner und seine Schwachpunkte, professioneller 
  Medienarbeit, intensiver Mobilisierung von Tierrechtsaktivisten, beharrlicher 
  Protestaktionen und geschickter Bündnispolitik - zwang Spira die Vivisektoren 
  des New Yorker Museums nach zähen Auseinandersetzung in die Knie. Dieser 
  Sieg diente dem streitbaren High-School-Lehrer als solides Fundament für 
  seine gewagten Vorhaben, denn in den Folgejahren sollte er sich mit Kosmetik- 
  und Pharmagiganten wie Revlon, Avon, Bristol-Myers und Procter & Gamble 
  anlegen und ihnen allerlei Konzessionen abtrotzen. 
  Spätestens mit seinem Engagement für die "Verringerung des Leidens" 
  der Tiere in der Nahrungsmittelindustrie handelte sich Spira für seine 
  Kooperation und (vermeintlich) faulen Kompromisse mit Multis und Tiermassenmördern 
  wie McDonalds, denen er ein generöses Bekenntnis zu verbesserten 
  Haltungsbedingungen und "humanem Schlachten" abringen konnte, heftige 
  Kritik aus Tierrechtskreisen ein.  
  So sehr viele Tierschützer Henry Spiras Arbeit als bahnbrechend würdigten, 
  attackierten ihn Gegner aus den eigenen Reihen als Alibi-Lieferanten der Tierausbeutungsindustrie. 
  Vor allem seine Neigung, die Durchsetzung von Rechten für Tiere auf ein 
  unversehrtes Leben in Freiheit zu Gunsten publikumswirksamer Erfolge immer wieder 
  auszublenden und zu vertagen, stieß auf erbitterten Widerstand von überzeugten 
  Antispeziesisten, die die Forderung nach dem uneingeschränkten Lebensrecht 
  für alle leidensfähigen Individuen als fundamentales und zukunftsweisendes 
  Prinzip der Tierbefreiungsbewegung betrachteten. 
  Allein dieser Aspekt gestaltet die Geschichte von Henry Spira schon so überaus 
  interessant, denn er verkörperte genau die Widersprüche, in die sich 
  große Teile nicht nur der US-amerikanischen Tierschutz- und Tierrechtsbewegung 
  mit ihrer grenzenlos pragmatischen Politik verzettelt haben: Gerne moralisieren 
  Tierrechtler mit dem Faktum, dass Tiere leidensfähige Individuen sind, 
  und wollen einer Gesellschaft von Schlächtern die Aufnahme der unvernünftigen 
  Kreaturen in die Gemeinschaft der Rechtssubjekte nahe bringen. Auf den zahlreichen 
  Tierrechtstagungen wird die Willkürherrschaft des Menschen über die 
  Tiere mit Verweis auf egalitäre Prinzipien (Gleiches sei gleich zu behandeln) 
  wortreich als Speziesismus oder blinder Artegoismus angeprangert. Die erniedrigenden 
  Verdinglichungsprozesse der kapitalistischen Produktionsabläufe indes, 
  denen Tiere als "Ware" bedingungslos ausgeliefert sind, bleiben aber 
  in der Regel unkritisiert. Die institutionalisierte Gewalt gegen Tiere in den 
  Verwertungsfabriken wird dann auf der Ebene so genannter konstruktiver Dialoge 
  gemeinsam mit den Todesprofiteuren am "runden Tisch" verwaltet. Nicht 
  selten fungieren Tierrechts- oder Tierschutzrepräsentanten dabei als willige 
  Stichwortgeber für die Industrie und helfen fleißig mit, wenn es 
  darum geht, groteske Euphemismen wie "humanes Schlachten" gesellschaftsfähig 
  zu machen. 
  Während viele Tierrechtler und Tierschützer kritische Diskurse über 
  die Machtverhältnisse im fortgeschrittenen Kapitalismus unter Ideologieverdacht 
  stellen, um nicht selbst unter die Räder etablierter Herrschaftsverhältnisse 
  zu geraten, müssen bei einem mutigen und politisch geschulten Menschen 
  wie Henry Spira andere Motive als mangelnde Courage und ein zutiefst bürgerliches 
  Sicherheitsbedürfnis für sein extrem pragmatisch ausgerichtetes Handeln 
  vermutet werden. Wie viele andere Anhänger des Singerschen Utilitarismus 
  auch, ließ er sich zu moralphilosophischen Merkwürdigkeiten hinreißen, 
  und zwar zu einer Ethik, die die Unverletzlichkeit des Individuums zu Gunsten 
  "der Summe des Gesamtglücks" vernachlässigt. Daher mag es 
  nicht verwundern, dass in Singers Buch über den Tierrechtsaktivisten Spira 
  so häufig von der "Menge des Leidens" die Rede ist und verquaste 
  Verhaltensformeln auftauchen wie folgende: "Wenn man x mit der (Erfolgswahrscheinlichkeit) 
  y multipliziert, aber y gleich null ist, dann ist das Ergebnis gleich null, 
  auch wenn x noch so groß ist. Also soll kein Ziel gewählt werden, 
  ohne sowohl die Menge des Leidens als auch die Möglichkeit einer Veränderung 
  zu betrachten." Das sind ethische Konstruktionen, die nicht nur glühende 
  Kantianer erschaudern lassen.  
  Fazit: Singers Spira-Biografie ist zumindest als Lektion für erfolgreiche 
  Kampagnen-Arbeit lesenswert. Darüber hinaus könnte das Buch Nachdenklichkeit 
  bei den vielen Tierfreunden erzeugen, die dazu neigen, sich an der eigenen naiven 
  Weltflüchtigkeit zu ergötzen. Henry Spiras beharrliches Engagement 
  könnte diejenigen beschämen, die sich, statt Leiber und Leben ihrer 
  Klientel zu energisch verteidigen, in die machtgestützte Innerlichkeit 
  esoterischer Zirkel begeben, um auf messianische Erlösung von dem Übel 
  zu warten, das die anderen erdulden müssen. 
"Henry Spira und die Tierrechtsbewegung" von Peter 
  Singer ist im Harald Fischer Verlag (ISBN 3-89131-404-3) in der Reihe Tierrechte 
  - Menschenpflichten (Bd. 5) erschienen, 223 Seiten stark und kostet 18,50 Euro. 
 
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